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Verkehr in Hurghada

Nein, es geht nicht um den Verkehr, zu dessen Hilfe manche blaue Pillen benötigen! Es geht um den Strassenverkehr für den man hier in Ägypten eher rosa Pillen benötigt. Mein erstes Auto in Hurghada war ein alter umgebauter Jeep in Candyrot metallic mit Mercedes Motor und zwei Kabelbäumen. Ein tolles Auto. Mangels Dach wurde es im Winter etwas kalt. Aber wir waren ja jung. Damals konnte man noch mit dem deutschen Führerschein fahren. Den Ägyptischen machten wir viel später. Zum Fahrtauglichkeitstest sollten wir mit unserem eigenem Wagen kommen. Fahrschulen gab es nicht und keiner hätte dafür Geld ausgegeben. Theorie war leider nur in Arabisch verfügbar und dementsprechend wurden wir davon entbunden.  Dann sollte ich den Wagen vorfahren für den Fahrtest. Mit dem Vorfahren hatte ich die Prüfung bestanden. Meiner einzige Ehefrau blieb auch das erspart. Wenn ich fahren kann, dann kann sie das auch. Ist ja meine Frau! Die Einzige.

Inzwischen gibt es einen Pickup bei der Polizei, der für Fahrprüfungen benutzt wird, letztes Mal wurde mir die Verbindung von Emanzipation und Kinderfreundlichkeit klar. Fahrprüfung einer gutgelaunten Mama auf dem Prüfungsgelände. Prüfer und Prüfling nicht angeschnallt, auf dem Schoß der Mama saß ihr kleines Kind und fuhr mit.

Problematischer wurde es für uns bei der Ausstellung des Führerscheins. Wir hatten vom Krankenhaus des Vertrauens ein medizinisches Gutachten mitgebracht, in dem meine Frau als Brillenträgerin verzeichnet wurde. Mehr als eine Sonnenbrille hatte sie aber bis dahin nie getragen. Auch eine Ausrede mit dünnen Kontaktlinsen half nicht. Entweder ein neues Gutachten oder eine Brille für das Foto. Der Büroleiter schaute sich in seiner Problemlösungsmentalität um, und bat Fatma, eine Büroschreib-wesirin, um ihre Brille. Das ganze Büro lag lachend auf dem Boden.Seit dem gibt es das erste Passfoto meiner einzigen mit Brille. Ok, Fatma hatte eine extreme Sehschwäche, dementsprechend weigert sich meine Einzige regelmäßig ihre Lizenz vorzuzeigen.

Da unsere Autos immer auf mich zugelassen waren, mußte auch ich die Lizenzen verlängern. Alle drei Jahre steht eine Kontrolle der Motor und Fahrgestellnummer an. Auch Feuerlöscher und je nach Laune auch Verbandskasten, Scheibenwischer und Warndreieck. Nicht das man das hier bräuchte. Aber kann ja nicht schaden. Vor drei Jahren wurde ich verwarnt weil an meinerStoßstange der Lack abblätterte.. In Ägypten dürfen solche ungepflegten Autos nicht fahren. Erst dachte ich an versteckte Kamera oder so etwas. Aber keine Kamera. Voller Ernst. Dann wurde die Motornummer mit Bleistift auf ein Papier abgerieben. Danach funktionierte die Elektrik nicht mehr. Mußte den Wagen abschleppen und die Firma hat das Kabel wieder angesteckt das beim Nummerrubbeln abgegangen ist.

Vor zwei Tagen war es mal wieder soweit um meine “Rochsa” zu verlängern. Ein paar Tage zuvor hatte ich meine Arbeitsgenehmigung erhalten und auf dem Stempelbüro eine Erfahrungen gemacht die ich nur ungern wiederholen muß. Angstschweiß stand auf meiner Stirn oder möglicherweise nur die Erwartungsangst. Die Prozedur ist lang. Zuerst eine Genehmigung einholen um meine Strafen zu bezahlen, dann zum Gericht ,um die Strafen zu bezahlen. Dann zurück um die Vielfalt der Ägyptischen Stempelindustrie kennen zu lernen. Feuerlöscher, TÜV, Stempelmarken und warten.

Mit einem mentalen Coaching versuchte ich schon länger meinen Geist unter Kontrolle zu halten. Der normale Strassenverkehr fordert einem schon genug Willensstärke ab.

Dazu hatte ich ein Jahr lang eine Kamera in meinem Auto. Ich wollte die unglaublichen Dinge aufnehmen, die hier Alltag sind und zur Ägyptischen Lebenskultur gehören. Eine Großfamilie auf einem Motorrad ist nichts seltenes. Auf dem Dach sitzende Kinder fördern die Partylaune.

Beliebt sind die Autokorsos die für Hochzeiten arrangiert werden. Eigentlich sind es nur ein paar Autos und Minibusse die durch die Strassen fahren. Aber zwei davon blockieren die Strasse und stauen den Verkehr. Das sieht nach einer Weile aus, als ob hunderte Autos sich für das Hochzeitspaar freuen. Alle hupen, manche aus Ärger, manche aus Freude. Autohupen kennen da keine Unterschiede. Aus dem Auto Fenster fallende Männer fördern die höchste Unfallstatistik der Welt. Feuerwerk und Pistolenschüsse verkünden die allgemeine Vorfreude auf die Hochzeitsnacht.

Der Strassenverkehr ist also mehr emotional geregelt als von logischen oder legislativen Vorgaben. So findet man auch oft an modernen Autos einen Babyschuh an der Stoßstange. Manchmal auch etwas anderes. Das Vertrauen in Antischlupfregelung, Intelligente Bremsen und Abstandskontrolle ist in diesen Fällen nicht sehr ausgeprägt. Der Schuh soll den Bösen Blick von dem schönen Auto ablenken und somit vor Unheil beschützen. Ok, meine Eltern hatten auch einen Christopherus im Auto um heil durch den Strassenverkehr zu kommen. Hilft aber alles nicht bei Polizeikontrollen. Gefragt wird nach der Auto und Fahrlizenz. Alkoholkontrollen gibt es nicht. Trotz 0 Promille Regelung. Solange man richtig herum auf dem Fahrersitz sitzt, hat man kein Problem. Auch ein Handy am Ohr gehört mehr zum guten Ton. Man ist wichtig und hat Friends. Aber bei einem Unfall oder einer Auseinandersetzung mit einem Polizisten ist der Spaß vorbei. Grundsätzlich ist ein leichtes lächeln und Freundlichkeit angebracht im Umgang mit den Gesetzeshütern.

Ein Phänomen ist mein Fahrverhalten in Cairo. 26 Jahre Erfahrung haben mich zu einem Indiana Jones der Strasse gemacht. Niemand kommt an mir vorbei, keiner drängelt sich vor. Mein Kairoer Fahrverhalten würde mich in Hurghada auf die Dattelpalme bringen. Hurghada betrachte ich als meine Stadt, Kinder am Strassenrand, Regeln, alles wird als meines angesehen und als beschützendswert. Aber in Kairo gelten andere Regeln. Einmal waren wir in einem Taxi unterwegs um unser ungeborenes Kind zum Frauenarzt zu chauffieren. Mitten auf dem Libanon Platz war eine kleine Bodenerhebung und führte zum doppelten Achsenbruch. Da half auch der Schuh an der Stoßstange nicht mehr. Wahrscheinlich wären die Achsen ohne Schuh schon 15 Jahre früher gebrochen. Aber die einzige Mutter und das einzige Ungeborene waren wohlauf. Erst recht nach 20 Minuten zur Platzüberquerung zu Fuß.

Nachts auf Landstrassen fahren wurde und von unserer Firma vor 26 Jahren verboten. Unbeleuchtete LKWs und Steine die auf der Strasse verloren wurden, sind auch Heute noch normal. Licht ist in der restlichen Welt völlig überbewertet und verbraucht sicher auch mehr Benzin. Warum so viele ohne Licht fahren ist ein Rätsel, ein Fahrer sagte mal das die Ägypter bessere Augen hätten als alle anderen. Ich dachte erst an Rücksichtnahme durch Blendung, aber warum wurde dann immer 10 Meter bevor ein entgegenkommendes Auto passiert, die volle Fernlichtbeleuchtung eingeschaltet? Die modernen Autos besitzen alle einen leicht zugänglichen Schalter für die Nebelbeleuchtung, das ist momentan der Hit. Auch die Bremslichter gegen gelbes oder grünes Licht auszutauschen gehört zu dieser Art von Lichttherapie.

Einmal hatten wir gedacht unseren dicken Jeep gegen ein kleineres Auto einzutauschen. Die Woche endete mit Panikattacken und rosa Pillen. Nach kurzer Zeit auf der Strasse schrumpfte das Selbstbewußtsein auf die Größe des Miniautos. Minibusse und Taxen wurden zu Feinden. Aber wir wurden keine Feinde für die! Wir waren einfach nicht da. Die Ägyptischen Autofahrer konnten durch uns und unser Auto durchsehen als wenn wir mit Antimateriepartikeln geduscht hätten. Da wir beide gerne auf unsere Altersinkontinenz im frühen Stadium verzichten konnten, kam der Jeep wieder ins Spiel. Damit erschienen wir wieder auf der Strasse. Dafür gibt es eine logische Gleichung: Jeep = Teuer = Reich = Viele Freunde = Viel Einfluß = besser aus dem Weg gehen! So einfach ist Logik!

Aber zurück zu meiner Lizenz. Völlig entspannt erreichte ich die Lizenzbehörde. Mein Training hatte gewirkt. Dazu war ich auch sehr früh. Als erstes meinen Ordner kaufen und für 8 L.E. Marken kaufen. Das ist immer gleich. Dann bin ich zum Büroleiter mit sehr vielen Sternen auf den Schultern um meine Erlaubnis abzuholen in der Stadt beim Gericht meine geheimen Strafen zu bezahlen. Der hatte aber keine Zeit für mich und so nahm ein Neuling meine Papiere, sortierte sie und der oberste Verkehrsgeneral unterschrieb. Ich wurde nervös, wo ist mein Strafempfängniszettel? Danach gab der Neuling meinen unterschriebenen Ordner an einen Schalter weiter.. Hier durfte ich noch einmal 8 L.E. bezahlen und ich sollte warten. Nach einer halben Stunde fragte ich wann ich mein Auto vorführen soll und die Strafen in der Stadt bezahlen soll. Keine Antwort, kein Englisch. Ich fühlte das es besser ist wie ein Schaf zu warten. Hoffentlich wurde das Schaf nicht zur Schlachtbank geführt.  Eine halbe Stunde mehr wurde ich aus meiner Stempelstarre erlöst. Der freundliche Neuling brachte mir meine fertige Lizenz mit einem lachenden Mabruk! Jetzt wäre es Zeit für das Kamerateam sich zu offenbaren. Aber das war real, so richtig aus dem Leben. Meine Freudensprünge waren größer und eleganter als die von meinem Sohn in seinem Londoner Theater.

InfoQuelle

Foto: ©mein-aegypten.com - Autowrack-ThebenWest 11.2012

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